Impfungen im Wandel: Von der Forschung in die Apotheke

17. Juni 2025

Impfungen: Während die einen sie als Rettung der Menschheit

sehen, wittern andere eine staatliche Verschwörung - eine

Reportage aus einer Apotheke, die täglich mit beiden Gruppen

konfrontiert ist.

Es ist 15:00 Uhr an einem Dienstagnachmittag in der Kirchenfeld Apotheke an der Thunstrasse in Bern. Die Türe öffnet sich mit einem leisen Quietschen und die Klingel erklingt über uns. Der Geruch von Desinfektionsmittel und Kamillentee liegt in der Luft.

Innenraum der Kirchenfeldapotheke

Auf der Thunstrasse herrscht das gewöhnliche Berner Treiben. Autos fahren eilig die Strasse hoch und runter. Gestresste Passanten laufen tüchtig ihren Beschäftigungen nach. Ein rotes Tram rumpelt die Strasse herunter. Es fährt Richtung Bahnhof. Zwischen dem ganzen Chaos sticht ein besonderes Gebäude ins Auge. Das Haus mit der Nummer 15 sticht mit seiner sandsteinfarbenen Fassade und seinen verzierten Jugendstil- Elementen heraus. Die Kirchenfeld Apotheke ist mit ihrem grossen Glasfenster sehr gut belichtet. Im Innerraum werden wir erstmals von hunderten verschiedenen Fläschchen und Düften erschlagen. Ein leises Gespräch lässt sich im Hintergrund vernehmen und das Summen eines Kühlschranks stört die Ruhe des Raumes. Die Apothekenmitarbeiterin empfängt uns, und deutet auf eine Bank am Fenster, auf dem wir warten können. Die Apotheke ist mit vielen antiken Holzregalen ausgestattet. Drei grosse, reich verzierte Holzregale reichen vom Boden bis zu der Decke. Sie sind gefüllt mit unzähligen kleinen Schubladen und Fächern, die mit verschiedenen Medikamenten, Tabletten, Fläschchen und anderen Produkten in bunten Schachteln und Verpackungen bestückt sind. Die Farben sind abwechslungsreich, von Pastelltönen bis hin zu kräftigeren Farbakzenten. Im Raum stehen zwei grosse Holzkasten, die als Ablage und als Theken dienen. Sanftes Tageslicht dringt durch die Fenster und schafft eine ruhige Atmosphäre im Raum.

Nicolas Lutz

Ein Mann im mittleren Alter kommt auf uns zu und begrüsst uns herzhaft. Nicolas Lutz, Inhaber der Apotheke, stellt sich uns vor und führt uns durch Innenraum der Kirchenfeldapotheke eine Tür in den hinteren Teil der Apotheke. Hinter dieser Tür führte ein kleiner Gang in verschiedene Räume. Zu unserer Rechten stand eine Tür offen. Im Zimmer standen die verschiedensten Lagerbestände von kleinen Ampullen, bis zu grossen Flaschen und Gefässen. Die meisten Gegenstände sind jedoch noch verpackt, wodurch der Inhalt uns verborgen blieb. Herr Lutz führt uns den hellen Gang entlang, und deutet auf eine weisse, verschlossene Tür. Dort erklärt er uns, dass sie hinter dieser Tür Impfungen durchführen. Er erklärt: « Nicht jede Apotheke macht Impfungen, jedoch mittlerweile etwa 90 Prozent der Apotheken. Der grosse Boom kam mit der COVID-19- Pandemie.» Er führte uns in sein Büro. Ein grosser Tisch steht im Zentrum des Raumes. Auf dem Tisch steht eine gelbe Box, welche für die Entsorgung von Spritzen ist. Ein Fenster ist zu sehen, das einen Blick auf die Strasse und etwas Grün zeigt. Ein Regal mit vollgepackten Ordnern und bunten Büchern steht an der Wand. Die Gesamtatmosphäre ist ruhig und konzentriert, die Stimmung wirkt eher sachlich und arbeitsbetont, jedoch auch gemütlich und vertraut. Wir sitzen uns auf vorbereitete Stühle und Herr Lutz hinter seinen Schreibtisch auf seinen Stuhl. Ein altes Stethoskop, blaue Latexhandschuhe, Grösse L, verpackte Spritzen und Desinfektionsmittel liegen auf einem kleinen Wandregal. Herr Lutz spricht von seinen Erfahrungen als Apotheker. Im Raum liegt der Duft von frischer Frühlingsluft, durchdrungen vom scharfen Geruch nach Desinfektionsmittel. In der Apotheke machen sie schon seit langem Impfungen. Mit Corona ist ein wahrhafter Ansturm gekommen. Viele Menschen haben erst realisiert, dass sie auch ohne Termin in die Apotheke kommen können, und sich somit Nicolas Lutz in der Kirchenfeld Apotheke den ganzen organisatorischen Aufwand ersparen können. Hausärzte sind oft ausgebucht, oder haben sehr lange Wartelisten. In den Apotheken werden momentan meistens nur Grippe, FSME, Hepatitis A und B und COVID geimpft. Allerdings könnte dieses Sortiment in der Zukunft deutlich ausgebaut werden.

Aussenansicht der Kirchenfeldapotheke

Herr Lutz steht auf, führt uns aus dem Zimmer und deutet auf eine Tür, auf der ein unauffälliges Schild mit der roten Aufschrift «Impfbereich» zu sehen ist. Er öffnet die Tür und führt uns in einen überraschend hellen Raum, der die typische Klinik-Atmosphäre geschickt mit bernischer Gemütlichkeit verbindet. Das Erste, was auffällt, sind die grossen Oberlichter, welche den 15 Quadratmeter großen Raum mit natürlichem Tageslicht durchflutet. An der rechten Wand reihen sich zwei Impfstühle, mit 2 Meter Abstand, auf. Die weiss gestrichenen Wände reflektieren die eintreffenden Sonnenstrahlen und tauchen den Raum in eine magische Stimmung. Das Klima wirkt sehr vertraut und lässt eine beruhigende Stimmung entstehen. Jeweils auf der rechten Seite der Impfstühle, befindet sich ein kleines Beistelltischchen, auf dem eine grosse Desinfektionsmittel Flasche, Sterillium Med steht. Neben diesen Flaschen stehen weisse Alkohol-Swabs in individuell Einheiten. Auf dem Tisch liegen verschiedene einweg- Spritzen, welche nach Farbe sortiert sind. Gegenüber von den Stühlen dominiert ein 2,50 Meter langes Kühlschrank- Komplettsystem mit verschiedenen Temperaturzonen. Eine Apothekenassistentin ist gerade dabei, verschieden Pakete auszupacken und sie in die gekühlten Schränke zu stellen. Herr Lutz erklärt: «Jeder Impfstoff hat seine Temperatur-Vorlieben – wie gute Weine. Die einen brauchen Kühlung, um stabil zu bleiben, andere müssen tiefgefroren werden, damit ihre empfindlichen Bestandteile nicht zerfallen. Wir lagern sie wie kostbare Zutaten in einem Sterne-Restaurant – immer unter genauer Beobachtung. Denn nur so garantieren wir, dass jede Impfung ihre volle Schutzwirkung entfalten kann.» Zurück In seinem Büro wieder angekommen, führen wir ein Interview über das Thema «Impfungen in Apotheken». Früher seien die Menschen zum Arzt gegangen, um sich zu impfen zu lassen und heute gingen sie in die Quartierapotheke. Die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, sei in den letzten Jahren gestiegen. Jedoch sei ein gewisser Unmut gegenüber Corona-Impfungen entstanden, bei denen man verpflichtet gewesen sei, sich impfen zu lassen. Bei anderen Impfungen hingegen, die man nur für sich selbst mache, sei die Bereitschaft vorhanden, da viele der mRNA- Technologie der Corona- Impfung nicht vertraut hätten. Dazu die Infektiologin Barbara Wieland: «Ein großer Teil der Aufklärung ist notwendig. Viele Menschen verstehen nicht, wie Impfstoffe und das Immunsystem funktionieren. Wir müssen transparente Informationen bieten und klarstellen, dass die Risiken einer Impfung viel kleiner sind als die Risiken einer Infektion.»
Während der Coronapandemie wurden in der Kirchenfeld Apotheke über 5000 Corona-Impfungen verabreichtet, während normalerweise rund 400 Impfungen in einem Jahr verabreicht werden. Ein rotes Tram fährt ratternd Richtung Thunplatz. Die Sonne ist hinter den Häusern verschwunden, und die Kälte lässt sich langsam sichtlich spüren. Die gelbe Box, die auf dem Tisch steht, erklärt Herr Lutz, ist für die Entsorgung von gebrauchten Spritzen. Diese müssen speziell entsorgt werden, damit keine Krankheiten übertragen werden können und niemand Blut von der falschen Blutgruppe bekommen kann. Wir verabschieden uns und Herr Lutz begleitet uns noch nach vorne. Wir verlassen die Apotheke und treten wieder hinaus in das geschäftige Treiben der Thunstrasse. Die Kälte ist nun stärker zu spüren, ein leichter Wind weht durch die Straßen. Es ist später Nachmittag, die Sonne steht tief, und langsam wird es dunkel. Beim Rausgehen schauen wir nochmal in die Apotheke. Ein warmer Duft von Kräutertee sowie Desinfektionsmittel vermischt sich mit dem frischen Frühlingsduft. Das Licht der Lampen hüllt den Raum in eine angenehme Stimmung. Die alten Holzmöbel mit Schubladen sowie Verzierungen erzählen von Zeiten, als Apotheken noch Handwerksbetriebe waren. Hinter dem Tresen stehen Apothekergläser mit Aufschriften, gefüllt mit Pulvern, Kräutern und Tinkturen. An einer Wand hängen alte Instrumente – in einer Ecke steht ein kleines Regal mit Büchern, ein Hinweis auf das Wissen, das hier gehütet wird.


Apotheken sind schon lange mehr als nur Verkaufsstellen für Medikamente. Sie sind Gesundheitszentren geworden, welche Impfungen machen, Medikamente verteilen und manchmal auch eigene Forschung betreiben. Sie sind wichtige Orte für die medizinische Versorgung. Diese Rolle wird wahrscheinlich in der Zukunft noch weiter ausgedehnt, da viele Arztpraxen überlastet und unterbesetzt sind. Beim Entfernen richten wir unseren Blick noch ein letztes Mal auf die Apotheke, mit ihrer schön verzierten Sandsteinfassade. Es verkörpert die Verbindung von Tradition und Moderne. Genau wie der Wandel der Impfungen. Was früher nur in Arztpraxen geschah, ist heute ein fester Teil der Quartierapotheke geworden. Möglicherweise werden Apotheken bald Impfungen gegen zusätzliche Krankheiten anbieten, oder die Digitalisierung wird den Prozess weiter erleichtern. Experten wie Barbara Wieland sehen eine grosse Aufgabe für die Zukunft: «Aufklärung». Menschen müssen zuerst verstehen, wie Impfungen funktionieren und was sie bewirken, damit sie sich impfen lassen. Also ist die Aufklärung sehr wichtig, um die Impfbereitschaft der Bevölkerung zu optimieren.

Interview mit Barbara Wieland:

Die Zukunft der Impfstoffentwicklung: Ein Gespräch mit Barbara Wieland

Im Gespräch mit der Expertin Barbara Wieland erfahren wir, welche Herausforderungen und Chancen in der Impfstoffentwicklung stecken, welche Rolle Tierversuche spielen und wie neue Technologien wie mRNA-Impfstoffe die Medizin verändern.

(Wir): Impfstoffe durchlaufen oft langjährige Entwicklungs- und Prüfprozesse. Sie müssen viele Tests bestehen, die oft an Tieren durchgeführt werden. Glauben Sie, dass sich dieser Prozess in Zukunft vereinfachen oder verändern wird?

(WiB): Ich denke, die Anforderungen an die Qualität von Impfstoffen werden nicht weniger, sondern eher noch strenger. Der Vorteil ist jedoch, dass wir heute ganz andere technologische Möglichkeiten haben, um sicherzustellen, dass ein Impfstoff qualitativ hochwertig ist – vor allem durch moderne Produktionsverfahren in der Industrie. Was Tierversuche betrifft, so sind diese im Bereich der Veterinärmedizin weiterhin notwendig. Dabei geht es nicht nur um die Qualität eines Impfstoffs, sondern vor allem um den Nachweis seiner Wirksamkeit. Ein Impfstoff, dessen Wirkung nicht nachgewiesen wurde, macht keinen Sinn. Dieser Nachweis kann nur in einem lebenden Organismus erfolgen – also in dem Tier, für das der Impfstoff entwickelt wurde. Diese Tests sind jedoch in der Regel nicht belastend für die Tiere, sie überprüfen hauptsächlich, ob Antikörper produziert werden, ähnlich wie bei einer Impfung beim Menschen. In einigen Fällen werden die geimpften Tiere gezielt mit dem Erreger in Kontakt gebracht, um den endgültigen Wirksamkeitsnachweis zu erbringen.

Barbara Wieland

Zu Barbara Wieland:
Barbara Wieland ist Tierärztin mit über 20 Jahren Berufserfahrung im In- und Ausland in der Forschung, der internationalen Entwicklungszusammenar beit und der Veterinärepidemilogie. Sie ist seit 2021 Direktorin des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI).

(Wir): Also müsste man immer noch Tierversuche durchführen, um sicherzustellen, dass der Impfstoff auch bei lebenden größeren Organismen funktioniert?

(WiB): Beim Menschen läuft es etwas anders. Impfstoffe bei Menschen werden nicht direkt an Tieren getestet, sondern in klinischen Studien an Menschen, wo man vor allem die Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen prüft. Tierversuche sind oft nicht erforderlich, da man in klinischen Studien direkt den Impfschutz und die Bildung von Antikörpern untersucht. Aber bei Impfstoffen für Tiere, speziell in der Veterinärmedizin, geht es in der Regel auch darum, die Wirksamkeit nachzuweisen, indem man die Reaktion des Immunsystems überprüft.

«Die Anforderungen an die Qualität von Impfstoffen werden nicht weniger, sondern strenger.»

Symbolbild: Covid-19-Impfstoff

(Wir): Sind Impfstoffe für Tiere ähnlich denen für Menschen? Oder gibt es da Unterschiede?

(WiB): Die Grundprinzipien sind die gleichen, aber die Wirksamkeit muss natürlich für jedes Tier oder jede Tierart nachgewiesen werden. Wir haben grundsätzlich zwei Arten von Impfstoffen: Lebendimpfstoffe und Totimpfstoffe. Lebendimpfstoffe enthalten abgeschwächte, aber infektiöse Viren, die jedoch keine Krankheit verursachen, und bieten einen sehr guten Schutz. Totimpfstoffe hingegen bestehen aus abgetöteten Viren oder Bakterien, die das Immunsystem stimulieren, aber nicht in der Lage sind, eine Infektion zu verursachen. Bei Vektorimpfstoffen wird ein harmloses Virus verwendet, um das Gen eines Antigens in den Körper zu schleusen. Bei mRNA-Impfstoffen wird das Gen des Antigens direkt in den Körper gebracht, sodass die Zellen selbst das Antigen produzieren und eine Immunantwort erzeugen. Diese Ansätze sind in der Tier- und Humanmedizin grundsätzlich gleich, aber es gibt Unterschiede in der Anwendung und Wirksamkeit.

(Wir): Gibt es Impfstoffe, die sowohl für Menschen als auch für Tiere verwendet werden könnten?

(WiB): Ja, es gibt Impfstoffe, die in ähnlicher Form für Menschen und Tiere verwendet werden können, aber es bedeutet nicht, dass sie bei beiden gleich gut funktionieren. Beispielsweise könnte ein Impfstoff für einen Hund genauso funktionieren wie für einen Menschen, aber die Immunantwort muss in jedem Fall getestet werden. Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht jeder Impfstoff in jedem Organismus gleich wirkt.

(Wir): Was sind die Vorteile und Herausforderungen der verschiedenen Impfstoffarten?

(WiB): Lebendimpfstoffe sind sehr effektiv, da sie das Immunsystem durch eine „echte“ Infektion anregen, was zu einem starken und langen Schutz führt. Totimpfstoffe sind weniger intensiv, da sie das Immunsystem nicht auf die gleiche Weise herausfordern, bieten jedoch auch einen Schutz. mRNA-Impfstoffe, wie wir sie während der Corona-Pandemie gesehen haben, sind schneller herstellbar und können in großen Mengen produziert werden, aber ihre Schutzwirkung hält oft nicht so lange an wie bei Lebendimpfstoffen. Jeder Ansatz hat seine eigenen Stärken und Schwächen, abhängig von der Krankheit und dem Zielorganismus.

Symbolbild: Impfstoff Entwicklung im Labor

(Wir): Wenn ein neuer Impfstoff entwickelt wird, was sind die wichtigsten Schritte im Entwicklungsprozess?

(WiB): Zunächst muss der Impfstoff in einem Labor entwickelt werden. Dort wird er zuerst an Zellkulturen getestet und die Wirksamkeit überprüft. Danach wird er in verschiedenen Tierversuchen getestet, um die Wirksamkeit und Sicherheit zu überprüfen. Zuerst werden die Impfstoffe an kleinen Nagetieren getestet und später an grösseren Säugetieren, wie Schimpanse und Schweine. Danach folgen klinische Studien, in denen der Impfstoff an Menschen getestet wird. modernen Impfstoffentwicklung spielen Technologien wie mRNA eine immer größere Rolle, da sie es ermöglichen, schneller auf neue Krankheiten zu reagieren. Zuerst werden kleinere Gruppen getestet und später grössere Gruppen. Je nach Ergebnis wird der Impfstoff dann zugelassen und in größerem Maßstab produziert.

(Wir): Wie sehen Sie die Rolle von mRNA-Impfstoffen in der Zukunft? Könnten sie alle anderen Impfstoffe ersetzen?

(WiB): Ich denke nicht, dass mRNA-Impfstoffe alle anderen Impfstoffe ersetzen werden. Sie sind besonders gut bei der Bekämpfung von Viren, die eine einfache Immunantwort benötigen, wie bei Corona, aber bei komplexeren Viren oder bakteriellen Krankheiten ist ihre Wirksamkeit möglicherweise eingeschränkt. Der große Vorteil von mRNA- Impfstoffen ist, dass sie schnell hergestellt werden können, was sie für Notfälle wie Pandemien besonders wertvoll macht. Dennoch gibt es weiterhin Platz für andere Impfstoffarten, je nach Bedarf.

(Wir): Was können wir tun, um mehr Menschen zur Impfung zu bewegen, besonders in Bezug auf COVID-19 und mögliche zukünftige Pandemien?

(WiB): Ein großer Teil der Aufklärung ist notwendig. Viele Menschen verstehen nicht, wie Impfstoffe und das Immunsystem funktionieren. Wir müssen transparente Informationen bieten und klarstellen, dass die Risiken einer Impfung viel kleiner sind als die Risiken einer Infektion. Auch die Entwicklung von Impfstoffen, die einfacher zu verabreichen sind, wie Nasensprays, könnte helfen, die Akzeptanz zu erhöhen, da viele Menschen Angst vor Spritzen haben. Ein weiteres Problem sind Fake News und Verschwörungstheorien, die es zu bekämpfen gilt, um die richtige Information zu verbreiten.

«Viele Impfgegner haben nicht verstanden, wie Impfstoffe und das Immunsystem funktionieren. »

(Wir): Wie beurteilen Sie die Impfsituation in der Schweiz? Gibt es Verbesserungsbedarf?

(WiB): Im Veterinärbereich ist die Impfbereitschaft hoch, und auch im Humanbereich hat die Schweiz gut reagiert, insbesondere während der Pandemie. Es gab jedoch eine gewisse Skepsis gegenüber mRNA- Impfstoffen, aber das scheint sich langsam wieder zu normalisieren. Insgesamt haben wir in der Schweiz ein gutes Impfprogramm, aber es gibt immer noch Potenzial, besonders bei der Aufklärung und der Bekämpfung von Misstrauen gegenüber Impfungen.

Impfungen in Apotheken: Nicolas Lutz über Chancen, Herausforderungen und die Zukunft der Prävention

Ein Einblick in das Impfen in den Apotheken mit Nicolas Lutz und wie man mithilfe der Apotheken das Impfen weiter fördern kann.

(Wir): Guten Tag Herr Lutz. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Gespräch nehmen. Sie arbeiten seit mehreren Jahren in einer Apotheke und bieten dort auch Impfungen an. Wie hat sich dieser Service in der Schweiz entwickelt?

(NiL): Ja, also wenn wir auf die letzten fünf bis sieben Jahre zurückblicken, sehen wir eine enorme Entwicklung. Anfangs war das Impfen in Apotheken noch eher die Ausnahme, aber mittlerweile würde ich schätzen, dass etwa 90% aller Apotheken in der Schweiz Impfungen anbieten. Besonders interessant ist, dass sich die Akzeptanz in der Bevölkerung deutlich erhöht hat. Viele Patienten schätzen die niederschwellige Möglichkeit, sich ohne langen Vorlauf impfen zu lassen.

Nicolas Lutz

Zu Nicolas Lutz:
Seit Oktober 2019 ist Nicolas Lutz Inhaber und verantwortlicher Leiter der Kirchenfeld Apotheke und er ist seit 2023 Mitgründer des 2023 eröffneten Health Center. Er engagiert sich mit der Mitte Partei zusätzlich im Berner Stadtrat.

(Wir): Seit wann genau bieten Sie in Ihrer Apotheke Impfungen an? Können Sie uns etwas zur Entwicklung sagen?

(NiL): Wir impfen hier seit etwa 2017, also schon seit mehreren Jahren. Aber der wirklich große Durchbruch kam natürlich mit der COVID-19- Pandemie. Vorher haben wir hauptsächlich Reiseimpfungen und die jährliche Grippeimpfung angeboten. Durch Corona hat sich das schlagartig verändert - plötzlich kamen Menschen in die Apotheke, die vorher vielleicht noch nie daran gedacht hätten, sich bei uns impfen zu lassen. Das hat wirklich die Wahrnehmung verändert. «Der grosse Durchbruch kam mit der Corona- Pandemie. »

(Wir): Wie sieht Ihr typischer Impfalltag aus? Gibt es große Schwankungen?

(NiL): Oh ja, die Schwankungen sind beträchtlich. Zunächst einmal gibt es große kantonale Unterschiede. Hier in Bern dürfen wir nur etwa fünf bis sechs verschiedene Impfungen verabreichen. Im Kanton Zürich ist das ganz anders - dort können Apotheken praktisch alle Impfungen durchführen, solange der Patient mindestens 16 Jahre alt ist. Dann haben wir natürlich saisonale Schwankungen - im Herbst zur Grippesaison ist Hochbetrieb, im Sommer etwas ruhiger. An manchen Tagen impfen wir nur zwei bis drei Personen, an anderen bis zu zwanzig.

(Wir): Können Sie uns mehr über diese saisonalen Unterschiede erzählen?

(NiL): Natürlich. Die Grippesaison von Oktober bis Januar ist immer unsere Hauptzeit. Da impfen wir nicht nur Einzelpersonen, sondern teilweise ganze Teams von Unternehmen oder Botschaftsmitarbeiter. Neben der Grippeimpfung ist FSME, also der Schutz gegen Zecken, ganzjährig sehr gefragt. Seit Corona kommt noch die COVID- 19-Impfung dazu, wobei die Nachfrage hier stark schwankt, je nach aktueller Lage und neuen Varianten.

(Wir): Wie hat die Pandemie Ihre Arbeit verändert? Können Sie uns Zahlen nennen?

(NiL): Die Veränderungen waren dramatisch. Normalerweise impfen wir in einem Jahr etwa 300 bis 400 Personen. Während der Hochphase der Pandemie haben wir zusätzlich ein Gesundheitszentrum genutzt und dort allein in eineinhalb Jahren etwa 5000 Menschen geimpft. Das zeigt den enormen Unterschied. Die Infrastruktur musste komplett angepasst werden - mehr Personal, längere Öffnungszeiten, spezielle Impfstraßen. Es war eine herausfordernde, aber auch sehr lehrreiche Zeit

Während des Interviews

(Wir): Wie sehen Sie die Zukunft des Impfens in Apotheken? Werden wir weitere Entwicklungen sehen?

(NiL): Da bin ich sehr optimistisch. In Bern wird aktuell die Gesetzgebung angepasst, sodass wir bald vielleicht sogar Jugendliche ab 12 Jahren impfen dürfen. Der große Vorteil der Apotheken ist unsere Erreichbarkeit - keine langen Wartezeiten, flexible Öffnungszeiten, oft sogar ohne Termin. Viele administrative Dinge können vorab online geklärt werden. Ich denke, dieser Servicegedanke wird noch wichtiger werden. Allerdings...

Wir): Allerdings?

(NiL): Nun, es gibt natürlich Grenzen. Bestimmte Impfungen wie Gelbfieber werden wohl immer beim Arzt bleiben, weil sie spezielle Dokumentationen erfordern, besonders für Reisen in bestimmte Länder. Auch bei sehr seltenen Impfungen oder besonderen Patientengruppen wird der Arzt die erste Anlaufstelle bleiben. Aber für die gängigen Impfungen sehe ich großes Potenzial.

(Wir): Eine schwierige Frage: Wie gehen Sie mit Impfskeptikern um? Gibt es Strategien?

(NiL): Das ist tatsächlich eine der größten Herausforderungen. Meine Erfahrung zeigt, dass Menschen, die zu uns in die Apotheke kommen, meist schon eine grundsätzlich positive Einstellung zu Impfungen haben. Entweder sie benötigen eine Auffrischung oder haben sich informiert und bewusst für die Impfung entschieden. Bei hartnäckigen Skeptikern ist es schwierig. Wir versuchen, sachlich zu informieren, Studien zu zeigen, Ängste ernst zu nehmen. Aber manchmal... [zuckt mit den Schultern]... da stößt man an Grenzen.

(Wir): Ein besonderes Thema sind Jugendliche. Wie stehen Sie zu Impfungen ab 12 Jahren in Apotheken?

(NiL): Das wäre aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt. Nehmen Sie die HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs - idealerweise sollte sie vor dem ersten Sexualkontakt erfolgen. Viele Jugendliche gehen aber nicht mehr regelmäßig zum Kinderarzt. Wenn sie die Impfung einfach in der Apotheke erhalten könnten, wenn sie ohnehin vorbeikommen, würde das die Durchimpfungsrate sicher erhöhen. Das Gleiche gilt für andere wichtige Jugendimpfungen.

«Ich halte wenig von einer allgemeinen Impfpflicht – wichtiger sind Aufklärung und Zugänglichkeit»

(Wir): Zum Abschluss: Wie stehen Sie zur Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht?

(NiL): Ich halte wenig davon, ehrlich gesagt. Abgesehen von den praktischen Problemen - wie will man das wirklich durchsetzen? - passt das nicht zu unserem Gesundheitssystem. Die Schweiz ist ein Land, das auf Freiwilligkeit und Eigenverantwortung setzt. Wichtiger als Zwang ist aus meiner Sicht Aufklärung und Zugänglichkeit. Wenn 95% der Bevölkerung freiwillig geimpft sind, haben wir einen guten Schutz. 100% wird es nie geben, und das ist auch nicht nötig.

Abbildung 1Abbildung von einer Flasche mit der Aufschrift: „Thunstrasse Bern"